vendredi, mars 10, 2006

Les Barjots, les Costauds et les Efficaces


Die Fédération Française de Handball (FFHB) jubelt: Sie wurde im Hallenstadion nach dem 31:23-Finalsieg gegen Spanien erstmals Europameister – mit einem Team, das seinen Zenit noch nicht erreicht hat.

Zürich-Oerlikon war am Abend des 5. Februar fest in französischer Hand, und die Repräsentanten der FFHB befanden sich im kollektiven Freudentaumel. Der zweitgrösste Verband der Welt hatte den vierten Titel gewonnen, und fügte dem Gewinn der Weltmeisterschaften 1995 und 2001 und dem Frauen-WM-Titel 2003 nun auch den Sieg im «schwierigsten» Turnier bei.
Die WM-Equipe von Reykjavik erhielt wegen seiner charismatischen Persönlichkeiten (Richardson, Volle, Gardent, Stoecklin, Martini) den Beinamen «Les Barjots» (die Verrückten), die Sieger-Equipe von Paris die Bezeichnung «Les Costauds» (die Starken, die Stämmigen). Das Gold-Team von Zürich hat noch keinen Kosenamen. Wie wärs mit «Les Efficaces», die Wirksamen?

Die Video-Analyse
Der Titel ist auch ein persönlicher Erfolg des Selektionärs Claude Onesta, der seit seinem Amtsantritt vor knapp fünf Jahren stets um Akzeptanz kämpfte, weil die Messlatte Daniel Costantini hiess und deshalb besonders hoch lag. Der Teamchef aus Toulouse hat sich vom langen Schatten seines berühmten Vorgängers im Hallenstadion definitiv befreit. Onesta und seine Spieler sind sich einig, dass nach dem Vorrundenspiel gegen Spanien (26:29) die entscheidende Weichenstellung erfolgte. «Was wir bei dieser Niederlage erlebten, war Handball-Unterricht, eine Lehrstunde», wird Guillaume Gille in der Süddeutschen Zeitung zitiert. Und daraus haben die Franzosen die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Vielleicht hat ein Detail den Ausschlag gegeben: Kein anderer Verband beherrscht die Video-Analyse des Gegners so meisterhaft wie der französische. Im Hintergrund ist eine perfekt organisierte Video-Equipe tätig, die Onestas Sonderwünsche* zuverlässig und in kürzester Zeit befriedigt. Zur «Sezierung» des eigenen und gegnerischen Spiels mittels Video gibt es eine interessante Parallele aus dem WM-Turnier in Tunesien: Damals, nach der Vorrunden-Niederlage gegen Kroatien, zerlegten die Spanier ihr Spiel am Schneidetisch bis ins letzte Detail. Kroatien hatte im späteren Finalspiel nicht den Hauch einer Chance.

Die Kaderbreite
Die physischen und psychischen Anforderungen an den heutigen Spitzenhandballer sind derart gestiegen, dass in der entscheidenden Phase des Turniers nur noch erfolgreich ist, wer noch Ressourcen hat. Beim kroatischen Superstar Ivano Balic war der Akku nach sechs überdurchschnittlichen Performances schon vor dem Halbfinal leer, und Spaniens bester Mann, Iker Romero, stand den achten Match innert elf Tagen nicht mehr durch. In diesem Bereich hat Onesta darauf geachtet, dass er seine besten Kräfte nicht verheizte. Selbst die «Unverzichtbaren», Joel Abati, Bertrand Gille und Nikola Karabatic, hatten pro Spiel 12 bis 15 Minuten Ruhepausen, Jerome Fernandez wurde von Defensiv-, Didier Dinart von Offensiv-Aufgaben praktisch freigestellt. Dieser wohl dosierte Einsatz der Kräfte war nur dank dem breiten und ausgewogenen Kader möglich. Dass der früher oft kritisierte Torhüter Thierry Omeyer das Turnier seines Lebens spielte, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass die «Défense de fer», die eiserne Abwehr mit dem unauffälligen, aber sehr effizienten Dinart als Chef sehr präzise und prompt adaptierte. Und: Hat jemand überhaupt zur Kenntnis genommen, dass mit Cedric Burdet ein hochkarätiger Linkshänder verletzt abwesend war und sein angeschlagener Gummersbacher Teamkollege Daniel Narcisse nicht einmal einen Viertel des Turniers bestritt? Neben den Arrivierten etablieren sich in der Equipe tricolore Topstars von morgen, etwa Luc Abalo oder Michael Guigou.

Dynamik und Polyvalenz
Die Trends, die sich vor Jahresfrist an der WM in Tunesien abgezeichnet haben, setzten sich auch an der EM in der Schweiz fort. Gefragt sind weiterhin Dynamik und Polyvalenz sowie solide Keeper auf einem gleich bleibenden Level während des ganzen Turniers. Die Unterschiede unter den Topteams sind nach wie vor marginal, entscheidend sind häufig kleine Details. Wie sähe wohl die Schlussrangliste aus, wenn Deutschland gegen Spanien den Startmatch gewonnen, statt 31:31 Unentschieden gespielt hätte? Hing da nicht alles an einem seidenen Faden? Die Würdigung der Leistung der DHB-Auswahl von Heiner Brand (5. Rang) wurde zu Unrecht auf das Scheitern des Titelverteidigers reduziert. Eigentlich ist das Gegenteil der Fall: Deutschland ist nach den grossen Personalproblemen in der «mörderischen» Basler Gruppe zwar nicht über den 3. Platz hinaus gekommen, hat aber unter den gegebenen Umständen sehr wenig an Niveau und Substanz eingebüsst. Und das wiederum stempelt den DHB zum Favoriten für das nächste Grossereignis – die WM 2007.

Hans Hugentobler

*Anmerkung der Redaktion: Die Franzosen arbeiten mit der vom Verlag HAndBall vertriebenen Video-Analyse-Software von Dartfish.

Les Barjots, les Costauds et les Efficaces / Hans Hugentobler. - HAndBall Magazin, märz-april 2006, n° 49